Offenbach - Seit fast einem Monat ist die Offenbacher Ortsgruppe des Technischen Hilfswerks schon für Flüchtlinge im Einsatz. Immer dabei ist Zugführer Michael Zier. Der Offenbacher erzählt von Schichtdienstproblemen, Gänsehautmomenten und der Vorfreude auf den Alltag. Von Sarah Neder
Kurz vor Mitternacht kriecht Michael Zier zu seiner Freundin unter die Bettdecke. Eine verschlafene Begrüßung, die erste für heute. Denn als sie am Morgen zur Arbeit ging, schlief er sich noch die Spätschicht aus den Knochen. So geht das schon die ganze Woche – die beiden haben sich in dieser Zeit nur zwei Stunden gesehen. Michael Zier: ein großer Mann, dunkle Brille, glattrasiertes Gesicht. Mit seiner Uniform wirkt er noch stattlicher: Arbeitshose, Pulli, Weste mit aufgesetzten Taschen, alles in Dunkelblau. Dazu schwere Stiefel, für schwere Arbeit. Der 44-Jährige ist Zugführer beim Technischen Hilfswerk (THW) Offenbach. Ein Hobby, sagt Zier. Doch es war in den vergangenen Wochen eher ein Vollzeitjob. Zusammen mit dem Ortsverband hat er bei der Planung und beim Aufbau der Flüchtlingsunterkünfte in Offenbach geholfen, unterstützte den Führungsstab am Kaiserlei, organisiert jetzt an der Edith-Stein-Schule. Und zwar im 24-Stunden-Dienst. „Wenn beispielsweise ein Flüchtling krank ist, kommt er zum Meldekopf, und wir kümmern uns dann um den Transport“, erklärt der ehrenamtliche Helfer.
Seinen Beruf als Service-Techniker bei der Telekom hat Zier gegen Früh-, Spät-, und Nachtschicht getauscht, hat seitdem kaum noch einen freien Tag. Der Arbeitgeber hat ihn dafür freigestellt. Notsituation statt Nine-to-Five. Nach einem Monat wird’s langsam anstrengend, sagt er. „Aber irgendwo macht das auch Spaß.“ Vor allem wegen der Menschen. „Die Dankbarkeit der Flüchtlinge spürt man schon.“ Besonders hat den zweifachen Vater gefreut, wie die Bundeswehrsoldaten mit den Flüchtlingskindern umgingen. „Die haben zusammen Fußball gespielt und gebastelt. In der Unterkunft am Kaiserlei haben sie an einer Trennplane ihre selbstgemalten Bilder aufgehängt. Das ist sehr berührend“, schildert Zier, was ihn anspornt.
Doch zum THW ist er aus einem anderen Grund gekommen. „Ich habe früher oft im Kleingarten meiner Eltern gespielt. Der Junge von gegenüber war schon beim THW, hatte dort seinen Führerschein gemacht. Das wollte ich auch“, erinnert er sich. Außerdem wollte er nicht zum Bund. Mittlerweile ist er seit 25 Jahren beim THW. 2009 ließ er sich zum Zugführer ausbilden: „Ich mag die Einsatztaktik, wenn ich an einen Ort komme und nicht weiß, was auf mich zukommt.“ Manche Fälle gehen aber auch Erfahrenen an die Substanz: Etwa als im Jahr 2012 zwei Kleinflugzeuge bei Wölfersheim zusammenstießen und abstürzten. Bei dem Unfall starben acht Menschen, darunter vier Kinder. Michael Zier und sein Trupp wurden zum Unglücksort gerufen, um die Wrackteile zu bergen. Lange Vorbereitung blieb da nicht. Anders war das bei der Flüchtlingskrise: „Da hatten wir eine gewisse Vorlaufzeit. Außerdem haben wir ja schon in Frankfurt und Neu-Isenburg mitgeholfen.“
Wenn es nach dem Schichtplan geht, zieht sich das THW am Freitag aus dem Krisenmanagement in Offenbach zurück. Nun übernehmen andere Hilfsorganisationen. Zier arbeitet dann wieder zu geregelten Zeiten, für ihn bedeutet das Alltag – „darauf freue ich mich wahnsinnig“.
Bericht Offenbach Post, 08.10.2015